Leben und Sterben auf dem Sonnenhof Blomesche Wildnis

Der Sonnenhof Blomesche Wildnis ist ein Altersheim für Hunde. Hier landen Hunde am Ende ihres Lebens. Sie sind alt oder sehr krank und dürfen hier den Rest ihres Lebens in geschützter Atmosphäre verbringen. Hunde hier müssen keinen durchschnittlichen Familienalltag mit Gassigängen, Aktionen und Anforderungen an Fitness leisten. Alles ist auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet, ebenerdig, gefliest, mit vielen Liegeplätzen und leichtem Zugang zum vollständig eingezäunten Gartengelände. Es gibt im Haus Möglichkeiten der räumlichen Trennung, so dass auch ruhebedürftige Hunde sich zurückziehen können. Ansonsten leben sie hier in der Gruppe mit vollem Familienanschluss.

 

Mit der Euthanasie haben wir bei Tieren gemäß Tierschutzgesetz das Recht und auch die Pflicht, unzumutbares Leiden für den Hund zu beenden. Die Entscheidung darüber zu fällen, wann wir bewusst ein Leben eines Tieres beenden, ist eine große Verantwortung, der wir uns hier täglich stellen müssen. Deshalb denke ich als Betreiberin auch sehr ernsthaft darüber nach. Hier möchte ich einmal meine Grundgedanken zum Thema zusammenfassen.

 

Es gibt bei Hunden wie bei Menschen natürliche Alterungsprozesse und irgendwann kann ein Hund auch sehr töckelig, gebrechlich, dement, inkontinent usw. werden, ohne sich dabei unwohl zu fühlen, schlicht im normalen Verlauf des Lebens langsam dem Ende entgegengehen. Dies alleine kann in meinen Augen niemals ein Grund für eine Einschläferung sein, würde es doch lediglich den natürlichen Verlauf des Lebens unterbrechen und künstlich beenden. Natürlich bin ich hier in einer anderen Position als ein berufstätiger Hundehalter, der mit seinem Tier auf einer Etagenwohnung irgendwo in der Stadt wohnt. Dort ist dieser Alterungsprozess wesentlich schwieriger zu händeln und zu begleiten, das ist mir bewusst. Unter anderem deshalb gibt es unseren Verein Omihunde-Netzwerk ja, weil wir hier helfen wollen, ein Leben eines Hundes würdevoll bis zum Schluss zu begleiten und dies nicht künstlich zu beenden, weil die Lebensumstände des Menschen es nicht zulassen.

 

Leider glauben auch immer noch viele Halter und auch Tierärzte, dass es sinnvoller sei, einen alten Hund einschläfern zu lassen, als ihm einen Wechsel der Lebensumstände zuzumuten. Hier betreten wir Neuland und machen beeindruckende Erfahrungen, selbst mit uralten Hunden. Erstaunlich anpassungsfähig und auch offen nehmen sie den Wechsel an, tauen zügig in der neuen Umgebung auf und starten häufig nochmal richtig durch. Hier wird in meinen Augen die Rolle des einzelnen Menschen viel zu hoch bewertet. Stelle ich nach einer Trennung vom Halter schnell wieder gute Verhältnisse für den Hund her mit lecker Futter, netten anderen Hunden, Menschen mit Zeit und Geduld, die ihn nicht bedrängen, sondern in Ruhe ankommen lassen, dann ist für den Hund i.d.R. das Leben spätestens innerhalb von zwei Wochen wieder prima. Beste Beispiele sind hier Timo, der am 23.11.2011 als fast 14jähriger Hund nach monatelangem Pensionsaufenthalt ziemlich "abgeschaltet" zu uns kam, Schnuppe, die am 4.1.2011 als Uraltterrier dick und unbeweglich zu uns kam, sich zu einem echten Original entwickelte und noch fast zwei schöne Jahre bei uns verlebte.

 

Wir haben uns ganz bewusst der Pflege genau dieser sehr alten Hunde verschrieben. Sie zeigen Freude und Interesse am Leben anders als junge, aktive Hunde, sie dösen oft stundenlang in der Sonne, tuckeln gemütlich durch den Garten, entwickeln liebenswerte Marotten und fressen in der Regel für ihr Leben gerne ungesunde Sachen.

 

Ich habe mir angewöhnt, sie genau zu beobachten, zu gucken, was ihnen wichtig ist. Solange sie da noch deutliche Vorlieben und Interesse zeigen, sehe ich auch Willen zum Leben. Dieses Leben würde ich nur im äußersten Notfall beenden, nämlich dann, wenn Schmerzen nicht mehr medikamentös auszuschalten sind, ohne den Hund im Bewusstsein deutlich zu trüben. Ein Vorsichhin-Vegetieren im Halbschlaf wäre in meinen Augen Quälerei, ein Leben unter Dauerschmerz tierschutzrelevant, da bin ich in der Pflicht (siehe kürzlich Coco). Bei akuten, schmerzhaften Krankheitsverläufen ohne Aussicht auf Heilung ist die Entscheidung dann recht klar.

 

Wir lernen hier täglich mit den alten Hunden dazu und arbeiten sehr eng und vertrauensvoll mit unserem Tierarzt zusammen. Was für viele erschreckend wirkt, kennen wir mittlerweile, so haben wir sowohl epileptische Anfälle als auch Vestibularsyndrom mit dieser professionellen Hilfe und auch jederzeit kritischer und offener fachlicher Beratung durchgestanden. Diese Hilfestellungen und Erfahrungen helfen natürlich oft auch, rechtzeitig mit Infusionen oder medikamentöser Therapie einzugreifen, so dass wir oft noch "die Kurve kriegen", wo unerfahrene Halter ohne Mut zum Risiko schneller aufgegeben hätten. Wir haben gelernt, z.B. bei Durchfall nicht mit Tierarztbesuchen zu zögern, sondern Austrocknung zügig vorzubeugen. Wir sind auch geduldiger geworden und haben mittlerweile keine Angst mehr vor Narkosen bei sehr alten Hunden, lassen notfalls auch 16jährige Rüden noch kastrieren und greifen auch bei einer Gebärmuttervereiterung einer alten Hündin noch ein. Manchmal bleibt dann auch nur die Wahl OP oder sofort Einschläfern. Wann immer wir die Aussicht für den Hund sehen, mit einer erträglichen Genesungsphase eine solche OP zu überstehen und hinterher wieder Lebensqualität zu haben, entscheiden wir für die OP, auch wenn wir ab und zu einem Hund nicht mehr helfen können und er dennoch verstirbt, so wie ganz aktuell die Dackelhündin Hanne.

 

Es gibt aber auch Verläufe, wo ich an einem gewissen Punkt genau weiß, dass es dem Ende zugeht. Dazu gehören z.B. Leber- und Nierenversagen, das sich durch katastrophale Blutwerte in Zahlen ausdrücken lässt, im Alltag durch verändertes Fress- und Trinkverhalten, langsamen Abbau, Verdauungsstörungen zeigt. Hier habe ich sowohl Fälle erlebt, bei denen der Hund offensichtlich sehr unwohl wurde und litt, also ihm geholfen werden musste zu sterben, aber auch zwei Fälle, bei denen es ein sehr sanfter und fast freundlicher Abbau war. Da durften wir hier Hunde begleiten, die langsam weniger wurden, die aber täglich voller Elan aufstanden, mit der Zeit ruhiger wurden, von ihrem Körbchen aus am Leben teil hatten, mit Appetit gefressen haben, eines Tages das Fressen eingestellt haben, am Tag darauf das selbständige Trinken und am Tag darauf sanft gestorben sind. Vielen sind Bruno (aus dem Film "Es kommt der Tag") und Kessie gerade vor kurzem da sicher in Erinnerung. Hier hätte es überhaupt keinen Sinn gemacht, sie vorher gehen zu lassen. Sie waren Teil der Gruppe und wurden auch von den anderen Hunden offensichtlich bewusst begleitet.

 

Hunde sind schon lange domestiziert und haben es nicht nötig, in ihrem Lebensumfeld alte und schwache Tiere totzubeißen, um den Fortbestand ihres Rudels (das ja in unserer Gruppenhaltung ohnehin nicht existiert) zu sichern. Noch kein einziges Mal konnte ich Aggressionen gegenüber einem schwachen, gebrechlichen Hund hier verzeichnen. Natürlich gibt es Verhaltensweisen von z.B. blinden Hunden, die Signale nicht erkennen können, die dann auch zu Missverständnissen in der Hundegruppe führen können und wo es mal rappelt. Das ist jedoch nicht mit der natürlichen Auslese zu verwechseln, die von Euthanasie-Befürwortern gerne ins Feld geführt wird gegenüber nicht mehr leistungsfähigen Hunden. Im Gegenteil: hier habe ich häufig erlebt, wie rücksichtsvoll und fürsorglich schwachen Hunden begegnet wird.

 

Die Sache mit der Demenz. Immer noch scheint in vielen Köpfen Demenz bei Tieren gar nicht vorzukommen. Wir können hier aus unseren Erfahrungen durchaus berichten, dass Hunde auch dement werden. Wobei ich bei den Hunden hier bisher nicht den Eindruck hatte, dass ihnen das etwas ausmacht, im Gegensatz zu Menschen, die dann in lichten Momenten ja sehr verzweifelt reagieren. Es ist extrem schwierig für mich zu beurteilen, ob der Hund sich noch wohlfühlt oder nicht, wenn er sich im Garten verläuft, stehen bleibt und um Hilfe ruft, im nächsten Moment lustvoll einen Ochsenziemer vertilgt oder im Planschbecken herumtollt. Solange ich mir nicht 100 %ig sicher bin, dass der Hund leidet, werde ich keine Entscheidung gegen sein Leben fällen, denn hier gilt klar das Motto "Einschläfern können wir nur einmal!". Dazu möchte ich offen das Beispiel Buffy/Muckebär nennen. Er war recht dement, hatte Phasen von Unruhe und war meistens übellaunig. Als ich ihn schließlich mit Hilfe unseres Tierarztes gehen lassen wollte, erlebten wir eine furchtbare Einschläferung. Sein Herz begann immer wieder zu schlagen, er kämpfte, grauenhaft. Und ich denke immer wieder darüber nach, ob es richtig war. Er war noch so stark und offensichtlich nicht bereit, sein Leben zu beenden. Ich frage mich, wie es weiter gegangen wäre, ob er noch etwas vom Leben gehabt hätte, ob wir zu früh eingeschläfert haben. Hier sind wir genau am schwierigsten Punkt unserer Arbeit angelangt......

 

Der Hund hat nur dieses eine Leben. Auch wenn ich allzu gerne das Bild der Regenbogenbrücke glauben möchte, bin ich überzeugt, dass der Hund jetzt und hier sein allerwichtigstes, für sein Bewusstsein einziges Leben lebt. Das würde er freiwillig nicht beenden. Und mein Respekt davor muss mich äußerst behutsam und vorsichtig mit diesem Leben umgehen lassen. Und ich muss bei jeder Entscheidung über eine Euthanasie schonungslos mit mir selbst in die Frage einsteigen, ob ich wirklich dem Hund helfe oder ob ich als Mensch da einfach Angst vorm Thema Alter und Tod habe und mit ggf. auch schlicht die Mühe mit dem Tier jetzt zu groß wird. Hier gerate ich in einen Bereich, der mir weh tut und der mich letzten Endes auch auf die Fragen über menschliches Sein zurückwirft. Lege ich bei Tieren eine andere Ethik an als beim Menschen? Stelle ich meine Bedürfnisse über die des Tieres? Wer bin ich, so über dieses andere Lebewesen zu bestimmen, so endgültig? Euthanasie (Sterbehilfe) ist ein beschönigender Begriff für den Akt des Tötens. Das führe ich mir immer wieder vor Augen, wenn ich an den Punkt gerate, darüber gemäß Tierschutzgesetz entscheiden zu müssen.

 

Ich habe diesen Text bewusst sachlich gehalten, berichte nicht ausführlich von den Tränen, die vor, bei und nach jedem endgültigen Abschied fließen,  von den schlaflosen Nächten vor einer Entscheidung, einen Hund töten zu lassen. Sie sind mein privates Gefühl, Ausdruck meiner Liebe und Betroffenheit. Aber es gibt sie. Sie sind nötig, um mitfühlende und gute Entscheidungen zu fällen, um fürsorglich zu begleiten und bis zum Schluss dabeizubleiben. Und sollten diese Gefühle irgendwann aufhören, werde ich auch sofort mit dem Halten von Tieren aufhören.